Tyrannen

Text:

Tyrannen

Text Copyright: Michael Winterhoff

Buchtitel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden

 

 

Trifft man Erwachsene, die sich über Kinder im Kindergarten- oder frühen Schulalter unterhalten, hört man häufig Sätze wie „Mein Kind hat einen starken Willen, es setzt sich durch, weil es weiß, was es will“. Mit solch einer Beschreibung wird dem Kind eine eigene Persönlichkeit zugeschrieben, die es in einem so frühen Stadium seines Lebens noch gar nicht haben kann, da die Persönlichkeitsentwicklung erst mit dem achten oder neunten Lebensjahr einsetzt.

S. 33

 

 

Was die Eltern aus dem Beispiel mit Persönlichkeit verwechseln, sind schlicht kindliche Verhaltensweisen, die jedes Kind in diesem Alter zeigt. So wirken Kleinkinder immer „willensstark“, da sie psychisch gesehen noch in der Annahme leben, sie seien alleine auf der Welt und könnten rein lustbetont ihren Willen ausleben. Diese Kinder haben noch nicht gelernt, ihre Außenwelt und andere Menschen als Begrenzung ihres eigenen Ichs anzusehen.

S. 33

 

 

Die zentrale Frage lautet: Welche formbaren Anteile der Psyche sind wichtig, damit der erwachsene Mensch selbstständig leben kann? Wie muss sich Psyche entwickeln, damit Menschen Beziehungen zu anderen menschen leben können, damit sie erfolgreich arbeiten gehen können, oder auch, damit sie eigene Gefühle richtig einschätzen und entsprechend kontrollieren können.

Um das zu leisten, benötigt der Mensch i Wesentlichen zwei Anteile der Psyche: Zum einen sin das psychische Funktionen wie etwa Fsrustrationstoleranz, Gewissensinstanz, Arbeitshaltung oder auch Leistungsbereitschaft. Diese Funktionen müssen nach und nach ausgebildet werden, um einen optimalen Aufbau der Psyche zu gewährleisten.

 

 

Drei verschieden Phasen von Weltbildern:

die orale, die anale und die magisch-ödipale Phase.

S. 39

 

Die anale Phase:

findet gewöhnlich im Alter von zwei bis drei Jahren statt. Für das Weltbild des Kindes ist diese Phase gekennzeichnet durch den Satz „Ich bin, was ich behalte oder abgebe“. Übertragen auf das Verhalten des Kindes gegenüber seiner Umwelt bedeutet das nichts anderes, als dass das Kind in dieser Phase entdeckt, dass es sich selbst bestimmen kann und auch darüber bestimmt, ob es sich von außen bestimmen lässt. Ein Kind bekommt populär gesprochen in die „Trotzphase“, es versucht zunehmende seinen Kopf durchzusetzen und den Erwachsenen dazu zu bringen, die Bedürfnisse des Kindes in jedem Fall zu befriedigen.

 

Die magisch-ödipale Phase:

Das Phänomen, dass Kinder sich nun zum jeweils gegengeschlechtlichen Elternteil hingezogen fühlen. Und der modernen Theorie kommt noch hinzu, dass Kinder durch die plötzlich eingetretene Konkurrenzsituation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil vom ausschließlichen Bezug auf eine Person Abstand nehmen und sich zu diesem Zeitpunkt erstmals in das System Familie integrieren.

(4-5 Jahren)

S. 42

 

Es ist wichtig, dass eine Spiegelung des Kindes maßgeblich durch die Eltern mit den entsprechenden Emotionen erfolgt. Die Spiegelung ist in der psychoanalytischen Praxis ein wichtiges Arbeitsmittel, bei dem die Verhaltensweise eines der Gesprächspartner erörtert wird, indem sein Gegenüber dessen Perspektive einnimmt. Auf diese Art und Weise bekommt die Person, deren Problem analysiert werden soll, quasi einen äußeren Zugang zu sich selbst und kann eigene Fehler erkennen. In unserem Zusammenhang bedeutet das nichts anderes als das deutliche zeigen positiver und negativer Reaktionen auf das Verhalten des Kindes. Das heißt als konkret, dass ich mich über ein positives Verhalten meines Kindes auch deutlich erkennbar freue und bei einem negativen Verhalten genauso deutlich meinen Ärger zeige, beispielsweise aus durch den Tonfall meiner Stimme.

S. 85

 

 

Erste Beziehungsstörung: Partnerschaftlichkeit

 

[…] Kinder die sich in solchen Situationen äußern, werden nicht mehr darauf hingewiesen, dass sie für diese Fragen noch nicht alt genug sind, sondern ihre Anteilnahme wird positiv als Reifezeichen gewertet, ein Vorgang, der nur durch den Status als Partner der Eltern möglich ist. Selbst wenn offensichtlich ist, dass das Kind sich noch gar nicht verständlich zum Thema ausdrücken kann oder Zusammenhänge nicht begriffen hat, endet die partnerschaftliche Sicht nicht. 

S. 109

 

[…] In deren Verantwortungsbereich lag es ganz eindeutig, das Kind außerhalb der Familie in jeder Hinsicht zu fördern: sowohl im Bereich sozialer Fähigkeiten als auch bei der gesamten Motorik, der Wahrnehmung und der sprachlichen Entwicklung. Mit diesen Aufgaben war die Funktion des Kindergartens klar umrissen: Vorbereitung der Kinder auf den Besuch der Grundschule.

S. 112

 

 

Zweite Beziehungsstörung: Projektion

 

[…] Das Kind als Messlatte. Es kommt hier zu einer Umkehrung des realen Machtverhältnisses: Der Erwachsene ist vom Kind abhängig, er definiert sein eigenes Selbstbewusstsein ausschließlich über das Verhalten des Kindes.

S. 133

 

 

Dritte Beziehungsstörung: Symbiose

 

[…] Wie beschrieben, kommt es im Rahmen der Projektion zu einer Machtumkehr, d.h. der Erwachsene begibt sich auf eine Ebene unter das Kind, wird bedürftig, und das Kind ist plötzlich für die Bedürfnisbefriedigung zuständig. 

S. 150

 

 

[…] Der Erwachsene kann aufgrund der Psychenverschmelzung nicht mehr zwischen sich und dem Kind unterscheiden, er beginnt, für das Kind zu fühlen, zu denken und zu handeln

S. 157

 

 

 

Kleine Kinder brauchen zunächst einmal ein erwachsenen Gegenüber, das eine traditionelle, vertikale Denkweise beherzigt und sich darüber im Klaren ist, dass bisweilen negativ besetzte Begriffe wie Autorität und Hierarchie genau die Eckpunkte im Verhalten gegenüber Kinder sind, die diesen die notwendige Struktur und Orientierung geben, um sich in der Welt zurechtzufinden.

S. 208

 

 

 
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