Menschliche Intelligenz ist,

Text:

Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

Richard David Precht

Alle Texte Copyright: Richard David Precht

 

Menschliche Intelligenz ist, nach einer berühmten Formulierung des Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Paget, “das, was man einsetzt, wenn man nicht weiß, was man tun soll“. Logik und Kalkül spielen allerdings nur in wenigen Fällen und auch erst ab einem bestimmten Alter eine Rolle. Die menschliche Intelligenz ist durchzogen von Emotionalität und Intuition, Spontanität und Assoziation. Der „gesunde Menschenverstand“ (common sense) ist kein Synonym für Rationalität, sondern im gleichen Maße Einfühlung in die Situation unter den Einfluss von Werten. Menschen denken viel seltener und viel weniger logisch als von KI-Forschern angenommen, und nicht das logische Denken macht die Menschlichkeit aus.

S. 25

 

Die Grenzen meiner Wahrnehmung sind die Grenzen meiner spezifisch auf mich zugerichteten Welt. Raum und Zeit, Verhalten und Bedeutung sind subjektive Leistungen – eine Erkenntnis, die nach Uexküll im Zentrum jeder Biologie stehen sollte, es aber bis heute nicht tut.

S. 28

 

Künstliche Intelligenz hingegen empfindet keine Werte. Selbst wenn man versucht, ihr sogenannte Werte einzuprogrammieren, hat sie keine. Denn ein Wert, der nicht zugleich empfunden wird, ist keiner. Die Qualität von Liebe, Freundschaft, Charme und Takt sind ohne Gefühle und ohne die volle Beteiligung von Sinne schlichtweg nicht erklärbar.

 

Warum manche Aktivitäten für mich so wichtig sind, das ich ihnen wertvolle Zeit schenke, kann keine künstliche Intelligenz wissen. Schon schwer genug, es selbst zu wissen. Vieles ist für mich schon einfach deshalb so werthaltig, weil ich es gemacht habe. Selbst gemacht Erfahrungen ziehen ihren besonderen Wert aus meiner eigenen Subjektivität, die in ihnen steckt. Und etwas ganz besonders gut gemacht zu haben hebt sowohl meinen Selbstwert als auch den Wert der Tätigkeit.

S. 31

 

Künstliche Intelligenz dagegen kennt keine Gemeinschaft und auch keine soziale Kultur von Anerkennung und Wertschätzung, die für Menschen so psychisch existenziell ist. 

S. 34

 

Gefühle, Streben, Wert- und Zeitempfindungen sind deshalb wichtig, weil ich sie als meine Gefühle, mein Streben und mein Wert- und Zeitempfinden erlebe. Mein gesamter Gefühls- und Bewusstseinshaushalt ist um mein „Ich“ gruppiert, um ein Zentrum, das ich spüre, selbst wenn Hirnforscher und Philosophen es nicht dingfest machen können.

S. 35

 

Tatsächlich ist das mit Innovation und Fortschritt so eine Sache. Die Begriffe sind keine Synonyme und unterscheiden sich aus gutem Grund. Die Inquisition, der Stalinismus und das Maschinengewehr waren zu ihrer Zeit ohne Zweifel höchst innovativ - aber deswegen unbedingt ein Fortschritt?

S. 49

 

Trotzdem muss der Einzelne versuchen, irgendwie glücklich zu werden. Er wird es aber nicht durch die objektive Erkenntnis der Welt oder des Selbst, sondern durch die Art und Weise, wir er sich zu sich selbst verhält. Alles Wesentliche der Existenz ist nicht etwas, was ich vorfinde, sonder etwas, das ich erfinde. Aber dieses Erfinden kann niemals technisch sein, die Aufgabe der Selbstfindung lässt sich nicht verobjektivieren. Sich selbst als Teil der Spezies Mensch verbessern zu sollen – dieser Auftrag bleibt immer äußerlich und engt meine subjektive Wahlfreiheit empfindlich ein.

S. 85

 

Evolutionäre Prozesse mögen gewisse Regelhaftigkeiten und „Gesetze“ aufweisen (etwa die, dass Säugetiere sieben Halswirbel, zwei Augen und vier Gliedmaßen haben), der die Evolutions selbst macht nichts. Sie ist keine Person und kein Gestalter, sondern ein absichtlicher Prozess. Sie will nicht die Artenvielfalt erhöhen, sie sorgt für nichts, und sie drängt keine Spezies dazu, sich zu verändern. Ökonomische Prozesse hingegen leben vom Gestaltungswillen ihrer Akteure, von bewussten Antrieben, Motiven und Zielen. Und dieser Unterschied macht einen erheblichen Unterschied.

S. 103

 

Rücksichtslose Expansion und bedingungslose Vernetzung sind weder zwingende Evolutionsgesetze noch bindende Menschennatur.

S. 104

 

Die menschliche Intelligenz entstand in biologischen Körpern in einer natürlichen Umwelt und in einem prägenden sozialen Kontext.

Menschliche Intelligenz ist streng abhängig von neuronaler Intransparenz. Bei künstlicher Intelligenz fehlt diese Barriere vollkommen. Ihre Prozesse sind völlig transparent.

S. 123

 

Die Problemlösungsfunktion von Maschinen ist allgemein, das heißt transparent und übertragbar; ihre Intelligenz ist dagegen speziell, das heißt auf ausgewählte Zielfunktionen beschränkt. Bei Menschen hingegen ist es genau umgekehrt: Ihre Problemlösungsmuster und -Strategien sind hoch individuell, das heißt, jedes Hirn denkt anders; Ihre Intelligenz dagegen ist allgemein, das heißt hochflexibel und auf alle erdenklichen Bereiche anwendbar.

S. 142

 

Jede „ethische“ Programmierung muss demnach die Würde und Autonomie eines jeden Menschen achten, sie darf niemandes Freiheit und Selbstbestimmung einschränken, seine Sicherheit nicht beeinträchtigen, muss die Privatheit wahren, darf nicht gegen Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsätze verstoßen und niemanden diskriminieren. Zudem soll die Programmierung für jedermann auf Nachfrage transparent und die Verantwortlichkeit genau geklärt sein. Ist eine solche „ethische“ Programmierung überhaupt umsetzbar?

S. 149

 

Was, anders als der Mensch, zielgerichtet programmiert wird, kann niemals Autonomie bestitzen. Das Wesen von Computerprogrammen ist, das sie gerade nicht autonom sind, sondern abhängig von der Programmierung. Das gilt selbst dann, wenn künstliche Intelligenz eigenständige Muster sortiert und variiert. Der Begriff „ethische Programmierung“ ist also ein Widerspruch in sich. Entweder ist etwas programmiert, dann es es nicht autonom und kann nicht ethisch handeln. Oder es ist ein autonomes Subjekt und handelt ethisch, dann aber kann es nicht programmiert sein. Maschinen fällen also niemals moralische Entscheidungen, selbst dann nicht, wenn sie über Leben oder Tod richten. Sie gleichen eher dem Henker, der etwas ausführt, als dem Richter, der autonom geurteilt hat.

S. 162

 

Unser moralisches Handeln ist kein mathematischer, sondern ein psychologischer, sozialer und kultureller Vorgang von einer solchen schillernden Komplexität, dass Softwaresysteme ihn weder abbilden noch nachvollziehen noch selbst vornehmen können. Doch wenn Moral aus den genannten Gründen niemals programmierbar ist, weil sie irrational, kontextabhängig und ein mit unserem Selbstwertgefühl verbundener Akt ist, dann sollten wir es auch nicht tun. Was kein Programm ist, kann auch nicht programmiert werden.

S. 165

 

Gerade die Möglichkeit, selbst zu werten und zu entscheiden, macht die menschliche Autonomie und Freiheit aus. Je mehr KI von jemand anderem programmierte Wertentscheidungen trifft, umso kleiner wird unser persönlicher Freiheitsspielraum.

S. 174

 

Denn beim autonomen Fahren fährt man doch gerade nicht mehr autonom, sondern heteronom: man fährt nicht, sondern wird gefahren. Es wird von der Maschine her gedacht und nicht vom Menschen.

S. 186

 

Vielleicht sollte es nicht das Handy sein, das meine Depression erkennt, sondern meine Mitmenschen.

S. 215

 

 

 

 

 

 

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