Über die Ethik der Ästhetik
Die Kunst und das gute Leben
Über die Ethik der Ästhetik
Autor: Hanno Rauterberg
[…] Pries das 19. Jahrhundert noch das Wahre und das Schöne, hat der Klassizismus der Gegenwart sich auf das Vage und Schrundige verlegt. Es ist mittlerweile ein akademischer Antiakademismus daraus geworden: Als ideal gilt, was unideal erscheint, halb fertig, unausgegoren. Die Künstler heben auf, was die Gegenwart an Bildern und Dingen zurücklässt, und sie formen daraus ihre Collagen und Installationen. Sie sind Verwerter und Verwalter des Gewesenen. Das Bewahren, nicht das Aufbrechen, ist ihr oberstes Ziel.
S.45
[…] Die leisen Künstler von heute interessieren sich hingegen nur wenig für Quellen, sie wollen auch nicht unbedingt kreativ sein, sondern verlegen sich auf das, was manche Rebkreativität nennen. Eine Kunst mit großem R: Recycling und Reanactment, Reproduktion und Reprise, Remix, Ripping und Remake. Die Künstler erkunden die reichen Gefilde der Kunstgeschichte, durchstreifen ebenso die Alltagswelt der Bilder und Objekte, begreifen das Internet als digitale Vorratskammer – und präsentieren Ihre Funde zumeist als Variation des Bekannten.
S. 45
[…] Der Kulturkapitalismus hat aus so ziemlich jeder Form der Rebellion ein konsumfähiges Produkt gemacht.
S. 64
[…] „Mit Neugier und Entdeckungslust, mit Innovation und höchster Qualität kleiden wir lebenshungrige Individualisten und Pioniere, die selbstbewusst und wagemutig in die Zukunft vorrausgehen.“ Zugleich, das ist dem Unternehmen wichtig, braucht man „Halt und Orientierung, um sich neu erfinden zu können“.
S. 110
[…] Und daher rührt es wohl auch, dass der Kunst von manchen nach wie vor ein metaphysischer Hellraum zugesprochen wird. Das macht sie für einige erst reizvoll; andere hingegen empfinden die doppelte Natur der Kunstwelt – einerseits auf höchst irdische Weise duschökonomisiert, anderseits abgehoben und abgekapselt in ihren inneren Bezügen – als Inbegriff der Bigotterie.
S. 148
[…] Zwar schwebt es vielen Künstlern durchaus vor, eine heilsame Gegenwelt zu etablieren, sie treten an gegen „eine atomisierte Pseudogesellschaft der Konsumenten, unsere Sensibilität eingeschläfert vom Spektakel und Wiederholung.“ wie es der Kunsthistoriker Grant Bester beschreibt.
S. 171
[…] Andere Wertfragen kämen auf diese Weise ins Spiel: Es ginge um die Werte wie Farbspannung und Schattenreiz, um Werte wie Assoziationsvielfalt und ikonographischen Erfindungsreichtum, um den Imaginationswert, den Gefühlswert, den Wert der intellektuellen Durchdrungenheit, den Erkenntniswert.
S. 180
[…] Denn Kunst ist ja in ihrem Grundcharakter immer beides: sehr intim und sehr öffentlich. Sie verdankt sich Einzelnen, hofft aber auf die Anteilnahme vieler.
S. 202
All Images © Mick Morley